Das technologische Wunderwerk in Form des James Webb Teleskop bringt uns unglaubliche Bilder des knapp 14 Milliarden (13.82) Jahre alten Universums. Wir staunen – wie wohl Generationen vor uns einfach beim Anblick des Sternenhimmels gestaunt haben. Die Dimensionen, in welche wir da blicken, sind kaum fassbar. Wir behelfen uns mit Einordnung und Vergleichen – und doch bleibt dieses Universum unfassbar, wahrlich ein Mysterium. Noch mehr so, wenn wir uns die philosophischen Fragen nach dem dahinter und davor stellen. Warum ist nicht vielmehr nichts? Wie kam es zu etwas – wie kam es zu dem hier?
Dieses Staunen, diese Neugier, vielleicht auch Ehrfurcht oder Überwältigung, bei vielen wohl auch Abenteuer- und Entdeckungslust sind urmenschliche Eigenheiten. Der Drang das Unbekannte zu erkunden, das Unverstandene zu verstehen, hinter die Kulissen blicken zu können, scheint ein eigentümlicher Trieb des Menschen – so sehr, dass es sich lohnen könnte, unsere Geschichte in diesem Licht zu betrachten. Denn soweit wir wissen, blickt kaum ein anderes Tier mit existenziellen Fragen in den Sternenhimmel, sehnsüchtig in den Horizont oder ehrfürchtig auf die schneebedeckten Gipfel. Was suchen wir da? Welches Bedürfnis treibt hier an?
Wir könnten diese Geschichte wohl bei der spielerischen Neugier beginnen, die wir bei vielen anderen Tieren auch feststellen. Wir würden in die Evolution blicken und die verschiedensten Strategien sehen, mit welchen Lebewesen ihre Umgebung erkunden und ihre Fähigkeiten entwickeln. Eine Vielzahl dieser Strategien, sich an die Umgebung anzupassen, scheint Tieren mit der Geburt gegeben, genetisch vermittelt sozusagen. Nur einige Tierarten teilen mit uns die Eigenschaft, grundlegende Fähigkeiten erst lernend zu entfalten – Greifvögel, welche ihrem Nachwuchs das Fliegen beibringen, Raubtiere, welche angeschlagene Beute zum Spiel vorlegen.
Doch dann, so scheint es, haben sich die Wege vergabelt. Die Neugier und das spielerische Vermitteln und Erlernen angelegter Fähigkeiten nahm bei uns Menschen ganz andere Dimensionen an, als bei unseren tierischen Verwandten. Die Hand – mit der speziellen Stellung des Daumens zum Greifen fähig – wurde auch zu einer geistigen Hand; zum Be-greifen fähig. Die ersten Werkzeuge haben wir, nach bisherigem Stand, vor über 3 Millionen Jahren angefertigt – Steine behauen, um in unsere Hand zu passen. Vielleicht dürfte dies als Beginn der kulturellen Evolution bezeichnet werden. Aus Werkzeugen wurden Technologien. Technologie, als Erweiterung unserer Hände potenziert unsere Möglichkeiten. Die Maschine, als Sinnbild für Technologie scheint zu beweisen, dass wir wirklich begriffen haben – denn wir können sie bauen, kontrollieren, dirigieren. Die Dinge gehorchen uns, als hätten wir einen Zauber gesprochen – oder wie Arthur C. Clarke einst schrieb: „Technologie ausreichend fortgeschritten, ist ununterscheidbar von Magie.“
Doch diese Geschichte ist weit vielschichtiger. Die Neugier in kulturelle Evolution geflossen, formte sich nicht nur in die Erkundung von Möglichkeiten der Manipulation der Dinge (Technologie), sondern auch in unsere Mythologien – unsere Geschichten darüber, wo und wer wir sind. Das „Studium der Natur“ als kulturelle Praxis – teils willkommene Verehrung der göttlichen Schöpfung, bald aber auch Blasphemie – wurde damit auch Verortung. Verortung als Antwort auf die existentiellen Fragen, die wir in die Sterne blickend stellen mögen. In dieser Schicht der Geschichte würden wir als jüngste Episoden wohl die Aufklärung sehen und die Industrialisierung. Wir würden die Entzauberung der Welt mit Max Weber feststellen – die Verdinglichung der Flora und Fauna, der Gezeiten und Gestirne. Wir würden sehen, wie die nicht ganz klar umrissene „westliche Kultur“ herablassend auf „primitive“ Völker und ihren Animismus blickt. Durch sezierende Analysen des toten und lebendigen so viel „verstehen“, dass wir alles als leblose Maschinen sehen würden, selbst den menschlichen Geist als mechanisches Getriebe (Descartes) und die Psyche als Spiel von Druck und Ventilen (Freud).
Dieses Welt- und Selbstbild entwickelte sich zusammen mit den Technologien. Wir haben uns die Natur Untertan gemacht - also stehen wir nach dieser Geschichte nicht mehr in der Natur, sind angeblich nicht hier zu verorten. Wir sind etwas anderes und was wir tun ist nicht mehr natürlich. Wir stehen über der Natur, gottgleich überlegen – und da ist auch kein Gott, denn der ist tot.
Doch so langsam dämmert uns, dass diese Geschichte kein gutes Ende nimmt, dass es eine Geschichte der Entfremdung und des Vergessens ist, dass diese Verortung uns an einen kalten, leblosen, sinnentleerten Nicht-Ort stellt. Keine Utopie, sondern Dystopie. Und jetzt? Wohin von hier?
Einige würden genau da einsetzen, wo wir die Natur verlassen haben. Wo wir uns als etwas anderes zu sehen begannen. Da wo wir uns auf den Weg gemacht haben, uns die Natur untertan zu machen und dabei vergaßen, dass wir Teil dieses lebendigen Gewebes sind. Teil eines lebendigen Planeten, wie Lynn Margulis und der kürzlich verstorbene James Lovelock mit ihrer Gaia-Hypothese wieder ins rechte Licht zu rücken versucht haben. Ein Bruno Latour möchte uns vom terrestrischen anziehen lassen, ein Buckminster Fuller schlägt vor, dass wir lieber die Erde als Raumschiff betrachten sollten, statt welche zu bauen. Viele bauen an der Circular Economy oder wollen es mit Biomimikry der Natur gleich tun. Dies alles in den letzten Jahrzehnten verteilte Beispiele dafür, was Daniel Christian Wahl als Kern einer regenerative Kultur sieht, einer Weltanschauung und Handlungsweise, die wieder heilt, was schief lief und läuft: als Natur zu gestalten. Als Natur, als Teil des Lebendigen, als Teil des unfassbaren Mysteriums.
Unser Staunen, unsere Neugier ist eine Naturkraft. Ihr entsprang unser Wissen um die Manipulation der Dinge, die Technologie. Nun müssen wir diese Kraft einsetzen, um Verantwortung zu tragen. Die kindliche Form erkundet spielerisch allerlei Möglichkeiten. Möglichkeiten, Dinge zu schaffen, zu verändern, zu begreifen – zu sein und zu können. Die Lebendigkeit dieses Spiels ist ansteckend. Doch leider allzu leicht scheinen wir „Erwachsene“ – sei es individuell oder evolutionär – von unseren eigenen Antworten gefangen genommen zu werden. Der „Ernst des Lebens“ schlägt zu oder die ökonomischen und politischen Realitäten. Vielleicht ist dies ein Weg – die spielerisch neugierige Erkundung wieder zu erwecken – der uns helfen kann, zurück zur Natur und nach vorn in unsere Natur zu finden?
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